Scheitern
Ich bin das Scheitern. Ich habe viele Synonyme, z. B.: keinen Erfolg haben, eine Abfuhr erhalten, Bankrott machen, sich nicht durchsetzen können, Schiffbruch erleiden, Ziel nicht erreichen, stolpern, straucheln, versagen, zu Fall kommen, keinen Zuspruch finden, stranden, …
Mein Vorfahre ist das Substantiv Scheiter, welches wiederum aus der Redewendung „zu Scheitern gehen“ hervorging. Damit wurde zum Beispiel das Zerschellen und in Teile Zerbrechen von Schiffen nach dem Zusammenstoß mit einem Hindernis gemeint.
Ein zerbrochenes Schiff ist nicht wieder rückgängig machbar. So war das bei meinem Vorfahren und so fühle ich mich heute ebenfalls an.
Da ist ein klar definiertes Ziel, das Handeln erfordert. Viele setzen sich für das Erreichen dieses Zieles ein, sind aktiv. Vielleicht ist dieses Ziel sogar dringend nötig erreicht zu werden und so gehen alle davon aus, dass dieses Ziel erreicht werden will. Dennoch gibt es nicht von allen Zusprüche. Gründe dafür gibt es viele, wie Widerstand, nicht wollen, Ausreden finden, eigene Vorteile wahren, Ziele leugnen etc.
So komme ich ins Spiel, ich bringe die Ziele und das Handeln durcheinander. Durch mich kommt alles zu Fall. Ich löse viele negative Gefühle aus, wie z. B. Frustration, Hoffnungslosigkeit, Wut und Trauer.
Aber hei, was ich Dir in Deiner Trauer sagen will: Ich unterscheide mich von meinem Vorfahren. Ich bin eben nicht unumkehrbar.
Trauer
Ich bin die Trauer und Ihr vermeidet mich gern. Menschen verdrängen mich und halten mich fern. Menschen begrenzen mich auf gefühllose Reden. Und versuchen ein Leben lang, mich nicht zu bewegen/mir nicht zu begegnen.
Ich habe verschiedene Facetten und Formen. Doch Ihr Menschen haltet euch immer noch an tabuisierende Normen. Ich bin die Trauer und komme mit Wut. Nehmt mich gern an und ich schenke Euch Mut. Seid nicht so kalt und tut so gefasst. Lasst mich nur zu, und zwar ohne viel Hast.
Ich bin die Trauer und lasse Euch weinen. Und irgendwann mittendrin sogar einen Sonnenstrahl scheinen. Lasst mich in eure Herzen hinein. Verlasst Euch auf mich, ich werde fair zu Euch sein. Ich bin die Trauer und bleib eine Weile. Unser Leben hat mit mir aber auch keine Eile. Denn ich bin da, wohin immer Ihr geht. Wohin alle Sinne und der Seelenwind weht. Ich weiche erst, wenn Ihr mich versteht und direkt ins Handeln, zurück ins Leben geht.
Wenn Klagen, Tränen und Tabletten nicht helfen, dann gibt es die Hoffnung in Form sichtbarer Elfen. Wir nennen sie Segen und unsere Visionen, ohne die sich ein Leben würde nicht lohnen. Die Bestärkung löst mich als Trauer ab und schenkt Euch Demut und Gelassenheit und das nicht zu knapp. Wenn ich in aller Ruhe von Euch gehe, schimmert ein Licht der Hoffnung, das ich für Euch sehe. Dann seid gewiss, die Bestärkung nimmt zu, genießt diese sehr und lernt an Reife dazu. (Lino, 10 Jahre)
Kraft
Ich bin die Kraft.
Ich stecke in der Flamme, die den dunkelsten Raum erhellt.
Ich stecke im Baum, der dem Orkan trotzt.
Ich stecke im Herzschlag, der das Leben ermöglicht.
Ich bin in jeder Ameise, die das Vielfache ihres Körpergewichtes tragen kann,
im Säugling, der Laufen lernen will,
in jeder Körperzelle, die den Infekt bekämpft.
Ich bin in der Marathoni, die den Ironman bewältigt,
im Boxer, der trotz K.O.-Schlag wieder aufsteht, und in den Verschütteten, die nicht aufhören zu hoffen.
In mir lodern der Lebenswille, die Wut, die Zähigkeit, die Zuversicht und die Vision.
Der Lebenswille, trotz Krankheit, Rückschlag und negativer Prognosen zu hoffen.
Die Wut, der Zerstörung und Rechtlosigkeit dieser Welt etwas entgegensetzen zu wollen.
Die Zähigkeit, trotz Stillstand, Misserfolg oder Langstrecke durchzuhalten.
Die Zuversicht, in tiefster Verzweiflung und größter Anfeindung getragen zu sein.
Und die Vision, dass Transformation möglich ist und wir in Gemeinschaft das Paradies zurückerobern können.
Ich bin die Kraft – Lebenskraft – Gotteskraft – ich bin …
Abschlusstext
Gedicht des Samen Nils-Aslak Valkeapää
wind
we were a wind
life’s singing wind
cares sing the cheeks
of the tundra
the forest, the valleys
a disappearing yoik
the reds of evening, wind
we were a wind
we came and left
and nothing remained of us
but yoik in the singing wind
a dream about being
(Nils-AslakValkeapää)
Wind
wir waren ein Wind
der singende Wind des Lebens
streichelt die Wangen
der Tundra
des Waldes, der Täler
ein verschwindender Yoik
die Rottöne des Abends, der Wind
wir waren ein Wind
wir kamen und gingen
und nichts blieb von uns
als Yoik im singenden Wind
ein Traum über das Sein
Texte der Christians4Future Kerstin, Yvonne und Kerstin zum Aktivisti-Café am 07.12.2023