1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.
So steht es bei Jesaja 11.1-2.
In der Adventszeit lesen wir oft Textschnipsel der Propheten.
Textschnipsel aus den prophetischen Büchern des 1. Testaments.
Diese Prophetenzitate sind nicht als Voraussagen zu verstehen!
Die Propheten geben keine Prognosen ab. Sie sagen nicht etwas Zukünftiges voraus.
Sie sind Pädagogen, die den Menschen Gottes Willen erklären und Veränderungen vorbereiten.
Diese Propheten, es sind alle Männer.
Nicht, weil Gott findet, dass Frauen keine Propheten sein könnten.
In den alten Geschichten, die nicht in den großen Prophetenbüchern stehen, da sind auch Frauen mit Prophetie beauftragt.
Mirjam zum Beispiel: Sie preist Gott singend nach dem wunderbaren Durchzug des Volkes durch das Schilfmeer.
Im Buch der Richter wird über die Prophetin Debora erzählt, die ein Loblied auf Gott singt nach siegreicher Schlacht.
Aber die Leute damals haben halt eher auf Männer gehört, das ist heute ja ganz anders …
Darum hat Gott vielleicht eher Männer mit dem Prophetenamt beauftragt.
Also, nicht, dass die Leute immer auf die Propheten gehört hätten.
Das war wieder und wieder das Problem der Propheten.
Sie hatten einen Auftrag,
sie hatten etwas, das sie den Menschen mitteilen sollten:
„Grüße vom lieben Gott; das, was ihr da gerade macht, ist Mist!
Kehrt um und macht es so, wie es richtig ist.“
Aber die Leute hörten nicht auf die Propheten.
Viele der Propheten machten also Aktionen,
um damit auf ihre Botschaft aufmerksam zu machen.
Von Jeremia, der in einem Joch über den Marktplatz lief, bis Hosea, der eine Prostituierte heiratete, um Israel zu zeigen, dass sie sich benahmen wie eine Prostituierte gegenüber Gott.
Die Propheten haben Anstoß erregt beim Volk – bis zum Beispiel Jeremia Tempelverbot erhielt.
Das Verhalten der Männer, die dem Volk Gottes Wort verkündigen sollten,
war ein öffentliches Ärgernis.
Dabei hatten sie eine wichtige Botschaft:
Ihr, die Ihr reich seid, Ihr, die Ihr im Wohlstand lebt,
kümmert euch um die Armen,
kümmert euch um die, die weniger haben als ihr,
kümmert euch um die, denen es schlecht geht.
Gott hat Euch eine reiche Welt geschenkt,
eine Welt, auf der man gut zusammen leben kann,
und diese Welt ist für alle da.
Es sollen nicht die einen alles an sich raffen und die anderen in Armut leben.
Aber das wollte natürlich keiner hören.
Prophet sein war darum ein echt unbeliebter Job.
Viele Propheten diskutierten erstmal mit Gott, ehe sie anfingen zu arbeiten.
Am bekanntesten ist das wohl von Jona, der in die andere Richtung rennt und sogar ein Schiff besteigt, weit weg von der Stadt, in der er eigentlich predigen soll.
Der eine oder andere Prophet ist sowieso schon total verärgert
und darum bereit, Gottes Auftrag anzunehmen.
Und wieder und wieder klagt ein Prophet zu Gott:
„Egal, was ich mache, es ist egal, was ich sage,
sie verfolgen mich,
sie machen mich zum Kriminellen,
obwohl ich ihnen doch eigentlich nur sagen will, was richtig ist.“
Immer wieder sind Propheten erschöpft, ausgebrannt,
bitten Gott, diesen harten Job von ihnen zu nehmen.
Bis zuletzt wollen ihnen die Leute oft nicht zuhören.
Selbst, wenn sie vor ein Volk traten, das am Boden lag,
den Krieg verloren hatte, verschleppt worden war und in Gefangenschaft lebte.
Jesus hat einiges gemein mit den Propheten des ersten Testaments:
die Botschaft, dass Menschen teilen sollen, abgeben,
dass die Welt für alle da ist, nicht nur für einige wenige Reiche,
dass wir uns an Gott ausrichten sollen,
das ist auch seine Botschaft.
Auch Jesus erregt Ärgernis.
Am Ende wird er umgebracht.
Ein modernes Wort für dieses Verhalten,
für dieses Erregen von Ärgernis,
für dieses sich gegen Kultur und weltliche Gesetze stellen,
für dieses Predigen, was wahr ist, statt was gefällt,
für auch mal ein paar Tische im Tempel umschmeißen oder am Sabbat ernten,
ein modernes Wort dafür ist ziviler Ungehorsam.
So, wie wir uns heute über die jungen Menschen aufregen,
die sich Letzte Generation nennen,
so haben sich die Israeliten damals über die Propheten aufgeregt.
Denn, mal ehrlich,
ganz objektiv betrachtet ist ein altes Ölgemälde nicht wichtiger
als die Zukunft dieser Welt.
Aber in unserer Kultur werden alte Ölgemälde sehr geschätzt.
Schätzen wir die Zukunft dieser Welt wirklich so gering?
Schätzen wir das Leben, das Menschen in Zukunft führen werden, wirklich so gering,
dass wir eine bemalte Leinwand wichtiger finden
als die Leben von Milliarden von Menschen,
als das Überleben von Gottes Schöpfung?
Für die Menschen damals gab es auch kulturelle Regeln,
die sie hoch geschätzt haben.
Und – die die Propheten gebrochen haben,
um auf Unrecht aufmerksam zu machen
und darauf aufmerksam zu machen, dass es so nicht weiterging.
Und wenn wir an die frühen Christen denken:
Die haben sich auch nicht anders verhalten.
Statt ihren Glauben zu verraten, haben sie lieber staatliche Gesetze gebrochen.
Was richtig und wichtig ist,
das bestimmen weder kulturelles Empfinden noch weltliche Gesetze.
Was richtig wichtig ist, das ist doch ewig gleich,
davon haben die Propheten gesprochen, davon hat Jesus gesprochen:
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.
Dieser Herr, mein Gott, erwartet von mir,
dass ich sorgsam und rücksichtsvoll mit dieser Erde,
mit seiner Schöpfung, mit seinen Geschöpfen umgehe.
Dieser Herr, mein Gott, erwartet von mir,
dass ich nicht an mich raffe, was mir nicht gehört,
dass ich etwas übriglasse für die, die weniger haben,
dass ich etwas übriglasse für die, die nach mir kommen,
für meinen Nächsten, den, den ich lieben soll wie mich selbst.
Wer weiß, wer er oder sie ist?
Wer weiß, wann er oder sie ist?
Die deutschsprachigen Quäker haben eine Botschaft zu diesem Thema verfasst, und wo sie Quäker schreiben, da müsste einfach Christ*innen stehen:
„Die gewaltfreien Aktionen von Fridays for Future, Extinction Rebellion und aktuell der Letzten Generation verstehen wir als Hilferufe und wichtige Alarmsignale, damit endlich – und für alle erkennbar – der Fuß vom Gaspedal genommen wird. Stattdessen erleben wir im Moment, wie führende Politiker:innen – unterstützt von meinungsbildenden Medien – versuchen, die Protestierenden zum Schweigen zu bringen und sie zu kriminalisieren. Sie werden in die Nähe der RAF oder von Linksradikalen gerückt und wie jüngst in Bayern ohne juristisches Verfahren für Wochen in Präventivhaft genommen.
Als Quäker:innen stehen wir in der Tradition von Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben und ihre Überzeugung einzutreten und dafür große Nachteile in Kauf zu nehmen. Wir wissen aus eigener Erfahrung und auch aus dem Gespräch mit Klimaaktivist:innen, dass die Teilnahme an gewaltfreien Aktionen meist auf einer Gewissensentscheidung beruht, in der die möglichen Folgen zivilen Ungehorsams ebenso eine Rolle spielen wie die Verantwortung vor dem eigenen Gewissen und dem Leben der aktuellen und zukünftigen Generationen auf unserer Erde.“
Aber die Propheten haben nicht nur von Weltuntergang und Gottverlassenheit geredet.
Sie haben auch Hoffnung gemacht,
Hoffnung auf eine Zeit, in der Gott und Menschen zusammenfinden werden.
„Gottes Reich“ nennt Jesus das.
Und genau diese Hoffnung feiern wir, wenn wir Weihnachten feiern.
Und auf genau diese Hoffnung blicken wir, wenn wir uns im Advent auf Weihnachten vorbereiten.
Gerade bei den Propheten finden wir Texte, die wir in dieser Zeit lesen, weil sie uns Mut machen. Weil sie uns daran erinnern, dass Gott uns Menschen nahe sein will und mit uns sein will.
„Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.“
(Jesaja 11)
Oder:
„Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott; redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Dienstbarkeit ein Ende hat, denn ihre Missetat ist vergeben; denn sie hat Zwiefältiges empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.“
(sagt Jesaja 40)
„Dann werde ich alle Nationen erschüttern,
und die Kostbarkeiten aller Nationen werden kommen,
und ich werde dieses Haus mit Herrlichkeit füllen, spricht der HERR der Heerscharen.“
sagt Haggai (2.7)
Hoffnung?
Hoffnung angesichts so unlösbarer Probleme?
Hoffnung im Angesicht von Klimawandel und Krieg?
Hoffnung auf Nähe zu Gott in einer Welt, die sich selbst zerstört und die Nächstenliebe und Gerechtigkeit weit von sich weist?
Luisa Neubauer, Aktivistin bei den Fridays für Future und engagierte Christin, schreibt:
„Vielleicht ist es in 2022 leichter denn je zu denken, dass ohnehin nichts mehr ausgerichtet werden kann beim Klima.Das ist eine logische Perspektive, aber auch eine privilegierte. Die Sache ist nämlich die: Hoffnung ist Arbeit. Richtig harte Arbeit. Und die nimmt einem niemand ab. Vor 4 Jahren gab es Fridays for Future nicht, die GroKo fand einen Kohleausstieg undenkbar, Autobahnblockaden kannte man nicht, ein Verfassungsgerichtsurteil gab es nicht und jeder Dahergelaufene konnte sich ins Fernsehen setzen und erklären: Die Menschen wollen keinen Klimaschutz. In nur 4 Jahren haben wir die Welt verändert, alle zusammen. Hoffnung ist Arbeit. Dass wir uns in Hoffnungslosigkeit vergraben, ist das größte Ziel derjenigen, die Klimagerechtigkeit um jeden Preis verhindern wollen. Radikale Zuversicht ist ein Akt des Widerstandes.“
„Radikale Zuversicht“, schreibt diese junge Frau!
Radikale Zuversicht, die musste so ein Prophet schon haben, wenn er vor ein Volk trat, das am Boden lag, den Krieg verloren hatte, verschleppt worden war und in Gefangenschaft lebte.
Radikale Zuversicht ist ein Akt des Widerstandes.
Radikale Zuversicht brauchte es wohl, um zu sagen:
„Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott“,
denn auch das wollten die Leute nicht hören.
Aber wie könnten wir Weihnachten feiern, wenn wir nicht radikale Zuversicht hätten?
Wie, wenn nicht mit radikaler Zuversicht, könnten wir uns auf diese irre Botschaft einlassen, dass Gott bei uns sein will und dass es sich lohnt, nach seinem Willen zu fragen,
auch, wenn die Welt auf dem Kopf zu stehen scheint.
So lasst uns Weihnachten feiern, in der Tradition von Menschen, die bereit waren, für ihren Glauben und ihre Überzeugung einzutreten und dafür auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Mit radikaler Zuversicht in der Tradition unseres Glaubens.
Natascha Luther