OG Münster

Von Laudato si’ bis zum Klimaschutzkonzept des Bistums Münster. Von Damian Eßing, Claudia Gärtner, Raphael Röwekamp und Philipp Schultes. Zuerst erschienen auf www.feinschwarz.net.
Mit dem Tod von Papst Franziskus ist eine bedeutende Stimme für den Umweltschutz und die sozial-ökologische Transformation verstummt – eine Stimme, die weit über die katholische Kirche hinaus Gehör fand. Vor zehn Jahren, am 18. Juni 2015, veröffentlichte Franziskus die Enzyklika Laudato si‘. 2023 folgte das Apostolische Schreiben Laudate Deum, das zu konsequentem Handeln angesichts der Klimakrise aufruft.
Im Verlauf seines Pontifikats betonte Franziskus immer wieder, dass ökologische Fragen untrennbar mit spirituellen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen zusammenhängen. Dabei appellierte er nicht nur an das umweltbewusste Verhalten der Gläubigen und der gesamten Menschheit, sondern benannte den globalen Kapitalismus und die neoliberale Gesellschaftsordnung als zentrale Ursachen für die sozial-ökologischen Krisen. Entsprechend forderte er tiefgreifende strukturelle und institutionelle Veränderungen. Trotz aller Ambivalenz versuchte er als Oberhaupt einer global präsenten Institution, ein bescheidenes, suffizientes Leben aus der Spiritualität des Christentums vorzuleben.
Weltweit entstanden und vernetzten sich inspiriert durch Franziskus’ Umweltethik und -spiritualität unzählige kirchliche Bewegungen. Auch in den deutschen Diözesen gewann das Thema an Bedeutung. Es wurde damit begonnen, die ersten umfassenden Umwelt- und Klimaschutzkonzepte zu entwickeln, um den immensen Ressourcenverbrauch der Kirche nachhaltig zu gestalten und gesellschaftlich Vorbild und Vorreiterin zu sein. Dabei zeigen die katholischen (Erz-)Bistümer unterschiedliche Geschwindigkeiten und Ambitionen. Erst zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Laudato si‘ wurde im Februar 2025 das Klimaschutzkonzept des Bistums Münster verabschiedet, das im Folgenden analysiert werden soll.
2045 als Zielmarke: Vorbildfunktion ade!
Angesichts der hohen Ansprüche, die Franziskus in Laudato si‘ und Laudate Deum formuliert, wären von kirchlichen Institutionen ehrgeizige Klimaschutzziele zu erwarten. Dabei kommt dem Bistum Münster sicher eine Vorbildfunktion zu: Es ist seit 2025 das mitgliederstärkste deutsche Bistum und finanziell überdurchschnittlich gut ausgestattet. Mit Weihbischof Rolf Lohmann residiert zudem der „Umweltbischof“ der Deutschen Bischofskonferenz im Bistum, der sich in der Vergangenheit immer wieder mit eindringlichen Worten für Klimagerechtigkeit eingesetzt hat.
Im Rahmen der Erstellung wurden die aktuellen CO₂-Emissionen und CO₂-Äquivalente weitestgehend erfasst und berechnet sowie ein Reduktionsziel formuliert. Darauf aufbauend wurde ein Maßnahmenkatalog sowie eine Strategie zur Implementierung und zum Monitoring entwickelt. Dabei steht das Bistum vor der gleichen Problematik wie alle anderen Konzepte. Es fokussiert sich fast ausschließlich auf die CO₂-Emissionen. Die Verknüpfung mit spirituellen Fragen findet teilweise statt, die Verknüpfung mit sozialen Fragen kaum. Genau das fordert allerdings Franziskus – ebenso wie strukturelle und institutionelle Anfragen an den Kapitalismus und die neoliberale Gesellschaftsordnung. Diese Themen werden außen vor gelassen. Immerhin bietet das Klimaschutzkonzept für den Bereich der Treibhausgasneutralität umfassende Einblicke in die Ziele des Bistums. Was lässt sich daran sehen?
Das Bistum Münster hat das Jahr 2045 als Ziel für die Treibhausgasneutralität des nordrhein-westfälischen Teils des Bistums bestimmt und damit zugleich das Offizialat Vechta, das immerhin flächenmäßig größer als das Saarland ist, ausgeklammert. Damit orientiert sich das Bistum zeitlich am gesetzlichen Minimum. Denn Deutschland will spätestens 2045 klimaneutral sein, so ist es mittlerweile sogar im Grundgesetz (Art. 143h Abs.1 S. 1) festgeschrieben. Das 1,5-Grad-Ziel wird mit dieser Zielmarke allerdings bereits verfehlt.
Andere Akteure haben ambitioniertere Ziele: So will die Stadt Münster möglichst bis 2030 treibhausgasneutral sein. Durch die Entscheidung des Bistums, erst viel später treibhausgasneutral zu werden, wird dieses städtische Ziel kaum zu erreichen sein, da das Bistum ein großer Treibhausemittent auf dem Stadtgebiet ist. Selbst innerkirchlich bleibt das Bistum Münster hinter anderen zurück. So wollen das ähnlich große Erzbistum Köln bis 2030 und das Bistum Hildesheim, das deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung hat, bis 2035 klimaneutral sein und die Evangelische Kirche in Deutschland strebt Klimaneutralität bis 2035 an. Auch wenn bei diesen Konzepten an einigen Stellen „optimistisch gerechnet“ wird und zehn Prozent Restemissionen am Ende wohl in allen Konzepten kompensiert werden müssen: Die hohen Ambitionen sind zum Großteil von entsprechenden Maßnahmen und Personal flankiert.
Die Ambitionslosigkeit im Bistum Münster hat vermutlich verschiedene Ursachen. Sie fällt jedoch in eine Zeit, in der der gesellschaftliche Druck für Klimaschutz nachgelassen hat und sich fossile Interessengruppen wieder stärker behaupten. Eine Ipsos-Umfrage Anfang 2025 zeigt: In keinem der 32 weltweit untersuchten Staaten ist die Zustimmung zur Aussage, die Regierung solle mehr gegen den Klimawandel tun, so niedrig wie in Deutschland. Ein Klimaschutzkonzept im Geiste von Franziskus dürfte sich diesem Trend nicht anpassen, sondern sollte ambitionierte Ziele enthalten, die mit konsequent klimagerechten Maßnahmen erreicht werden können.
2045 als Zielmarke: Ausnahmen und Ausklammerungen
Ein genauer Blick zeigt, dass das Bistum Münster durch eine Vielzahl von Ausnahmen die Zielmarke von Treibhausgasneutralität bis 2045 de facto gar nicht anstrebt:
- Kirchen, Schulen und Kitas sind zunächst vom Ziel ausgenommen (S. 19). Das betrifft mehr als 60 Prozent des Gebäudebestands (S. 38).
- Vermietete Gebäude, dazu zählen u. a. Studierendenwohnheime, genauso wie Klöster, Beratungsstellen, Familienbildungsstätten, Krankenhäuser sowie Alten- und Behindertenwohnheime werden ausgenommen, mit dem Verweis, wenig oder gar keinen Einfluss auf diese zu haben (S. 37).
- Besonders eklatant ist, dass das Offizialat Vechta nicht Teil des Klimaschutzkonzeptes ist. Es gibt keinen Zeitplan, wann ein Konzept vorliegen soll (S. 15).
Durch eine Vielzahl von Ausnahmen wird die Zielmarke von Treibhausgasneutralität bis 2045 de facto gar nicht angestrebt.
Darüber hinaus fehlen grundlegende Voraussetzungen zur Umsetzung des Konzepts. Gerade die ersten Jahre sind für die Implementierung von entscheidender Bedeutung, doch es gibt keine Finanzierungsstrategie. Laut Bistumsberechnungen übersteigen allein die Kosten für die energetische Sanierung der nicht sakralen Gebäude bis 2045 eine Milliarde Euro. In nahezu allen Maßnahmensteckbriefen bleibt das Feld „Finanzierungsansatz“ allerdings leer. Erstaunlich ist, dass weder die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), die dieses Projekt im Bistum Münster begleitet hat, noch die Bistumsleitung an dieser Stelle mehr Gründlichkeit eingefordert hat.
Keine Finanzierungsstrategie … und kaum Personalressourcen
Personalressourcen sind ebenfalls kaum vorhanden. Neben der vom Bund mitfinanzierten Stelle zur Erstellung des Konzepts sind aktuell lediglich eine Person als Klimaschutzmanagerin und ein weiterer Referent in der Fachstelle angestellt. Aufgrund der Einordnung in die Bistumshierarchie sind umfassende Maßnahmen schwierig umsetzbar. Außerdem ist bisher „niemand mit der notwendigen Fachexpertise im Bereich Energiemanagement angestellt“ (S. 116). Dafür soll lediglich eine weitere Stelle geschaffen werden. Die hierfür geplanten Kosten liegen bei 73.000 Euro jährlich, während die Gesamtausgaben für Personal im Bistum Münster im Jahr 2024 bei ca. 265 Millionen Euro liegen. Mehrere hundert Millionen des Bistumsvermögens sind außerdem nicht für Pensionszahlungen und weitere notwendige Rückstellungen gebunden und könnten in den Klimaschutz investiert und aus ethisch nicht einwandfreien Fonds abgezogen werden. Andere Diözesen sind weiter und haben u. a. Kapazitäten zur Umsetzung ihrer Bemühungen geschaffen: Das Erzbistum Köln hat aktuell mehr als 20 Stellen und das Bistum Hildesheim 11 Stellen für Umwelt- und Klimaschutz. Erfreulich: Wenige Monate nach der Veröffentlichung des Konzepts hat das Bistum Münster vier neue Stellen für das Energiemanagement bewilligt – schnelle Nachjustierungen trotz Einstellungsstopp im Bistum sind also möglich.
2045 als Zielmarke: Unverbindliche Empfehlungen statt strategische Planung
Der enthaltene Maßnahmenkatalog enthält keine verpflichtenden Vorgaben, sondern vor allem Empfehlungen. Angesichts des aktuellen Immobilien- und Strukturprozesses wird vor „blindem Aktionismus“ gewarnt (S. 107).
In den Maßnahmensteckbriefen fehlen zusätzlich zum Finanzierungsansatz regelmäßig weitere zentrale Angaben, etwa zu den Handlungsschritten oder zu den Zeitplänen.
Jede Maßnahme ist mit einer Prioritäteneinstufung versehen. Die zeitliche Einordnung bleibt teilweise diffus und eine systematische strategische Planung ist nicht erkennbar (S. 108–110). Es erscheint willkürlich, wenn beispielsweise die Ausweitung von Fahrgemeinschaften eine mittlere Priorität erhält, die erst in vier bis sieben Jahren angegangen werden soll, wohingegen Dienstfahrräder mit hoher Priorität kurzfristig angeschafft werden sollen.
Allerdings werden verbesserte Rahmenbedingungen für Radfahrende bei mittlerer Priorität erst wiederum in vier bis sieben Jahren angestrebt.
„Schöpfungsverantwortung als Bestandteil des Glaubens“ erhält nur geringe bzw. mittlere Priorität
Besonders problematisch ist die geringe Wertschätzung für inhaltlich und spirituell zentrale Themen. So erhalten die Maßnahmen: „Schöpfungsverantwortung als Bestandteil des Glaubens“ und „Umwelt- und Klimabildung in Schulen und Kitas“ nur eine geringe bzw. mittlere Priorität – bei einem geplanten Beginn der Umsetzung erst in vier bis sieben Jahren (S. 110). Diese Prioritätensetzung widerspricht nicht nur dem eigentlichen Anspruch des Konzepts, sondern auch dem Auftrag der Kirche. Sie steht zudem im Widerspruch zur ökologischen Spiritualität, wie sie Papst Franziskus in Laudato si‘ formuliert hat.
2045 als Zielmarke: administrative Pflichtübung statt sozialethische Verantwortung?
Die Klimaneutralität im Bistum Münster bis 2045 ist der gesetzliche Mindeststandard. Die Vielzahl an Ausnahmen, das Fehlen von Finanzierungs- und Personalplänen sowie die unzureichende Priorisierung entscheidender Maßnahmen entziehen dem Konzept seine Glaubwürdigkeit. Die hohe Verbindlichkeit lehramtlicher Enzykliken wie Laudato si‘ für die Kirche und ihre Gläubigen spiegelt sich in der Praxis am Beispiel des Klimaschutzkonzeptes des Bistums Münster nicht wider.
Die hohe Verbindlichkeit lehramtlicher Enzykliken wie Laudato si‘ spiegelt sich in der Praxis nicht wider.
Es entsteht der Eindruck, dass Klimaschutz im Bistum Münster eher als administrative Pflichtübung statt als Ausdruck christlicher Verantwortung für unsere Schöpfung wahrgenommen wird. Die Komplexität der Prozesse und die knapper werdenden Kirchensteuermittel sind angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise und des hohen moralischen Anspruchs der katholischen Soziallehre keine Entschuldigung. Die Frage drängt sich auf, ob die Entscheidungsträger*innen das Konzept tatsächlich nicht durchdrungen haben – oder ob die päpstlichen Schreiben schlicht ignoriert wurden. Beide Optionen wären gleichermaßen besorgniserregend. Papst Leo XIV. wird Franziskus’ Klimakurs wohl fortführen, das Bistum Münster braucht dagegen dringend eine Kehrtwende.
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Damian Eßing (Lehramtsstudium Sozialwissenschaften/Mathematik an der Universität Münster),
Prof. Dr. Claudia Gärtner (Professorin für Praktische Theologie an der TU Dortmund),
Raphael Röwekamp (Persönlicher Referent des Direktors der Akademie Schwerte und Kommende Dortmund),
und Philipp Schultes (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Allgemeine Didaktik und Unterrichtsforschung an der Universität Münster)
setzen sich gemeinsam bei Christians for Future Münster für Klimagerechtigkeit ein.